partielle sonnenfinsternis

Das astronomische Spitzenereignis des Jahres 1999 war zweifellos die totale Sonnenfinsternis vom 11.August, und sie wird in astronomischer Literatur und Periodika noch lange nachwirken. Weniger bekannt dürfte aber die Tatsache sein, dass es im Jahre 1912 eine Sonnenfinsternis gab, die im deutschsprachigen Raum zwar nur ringförmig war, aber dennoch für einen spektakulären Anblick gesorgt haben dürfte – weil nämlich nicht viel zur Totalität gefehlt hatte.

Die Sonnenfinsternis vom 17.April 1912 Hart an der Grenze zur Totalität?

Am 17.April 1912 ereignete sich eine ringförmig – totale Sonnenfinsternis, die im Norden Südamerikas begann und in Sibirien endete. Abb.1 zeigt den globalen Verlauf der Sonnenfinsternis. Sie begann partiell um 10h00m UT bei Sonnenaufgang nahezu genau am Dreiländereck Venezuela/Guyana/Brasilien mit einer Größe von 0.991. Das heißt, die Sonne wurde dort zu 0.991 Teilen ihres Durchmessers vom Neumond bedeckt. Erstmals ringförmig wurde die Finsternis etwa 1000km weiter östlich bereits über dem Atlantik um 10h05m UT, wo die ringförmige Phase 40sec dauerte. Der Streifen, innerhalb dessen die Finsternis ringförmig war (zentrale Zone), hatte eine Breite von etwa 65km. Die Größe der Finsternis betrug hier 0.995 bei einer Sonnenhöhe von 14° über dem Osthorizont. Dann ging es weiter in nordöstlicher Richtung auf den europäischen Kontinent zu, wobei die Zone der ringförmigen Phase immer schmaler wurde, weil der Monddurchmesser stetig wuchs.

Knapp südlich der Inselgruppe Madeira war die Breite der Zentrallinie auf 2 km zusammengeschrumpft, gleichzeitig erfolgte in diesem Bereich in etwa der Übergang von der ringförmigen zur totalen Finsternis, wenngleich die Totalität dort auch nur von minimaler Dauer war. Die größte Finsternis schließlich wurde etwa 200km westlich der portugiesischen Hauptstadt Lissabon im Atlantik um 11h35m UT erreicht. Die Totalität währte hier gerade 3sec bei einer Breite der zentralen Zone von 2km und einer Sonnenhöhe von 58°. Weiter ging die Reise des Mondschattens dann über die nordwestlichen Bereiche Portugals und Spaniens, wo sich die Bewohner auch noch über eine Totalität freuen durften, die kaum so lang war wie ein Atemzug.

totale sonnenfinsternis

Mitten im Golf von Biskaya erfolgte dann wieder der Übergang von der totalen zur ringförmigen Finsternis. Die Zentrallinie blieb weiterhin schmal: Nachdem der Mondschatten Nordfrankreich und Belgien hinter sich hatte, war sie bei Übertritt der deutschen Grenze im niederrheinischen Raum erst auf etwa 5km Breite angewachsen. Weiter ging es Richtung Nordost über das Ruhrgebiet hinweg. Knapp südlich der Ostseeinsel Rügen verließ der Mondschatten deutsches Festland, überquerte die Ostsee und überstrich die baltischen Länder Lettland und Estland, ehe die russische Grenze überschritten wurde. Etwa 200km nördlich der am Ural gelegenen Stadt Serov berührte der Mondschatten die europäisch – asiatische Grenze. 1500km östlich dieses Punktes unweit der Stadt Surgut war die Sonnenfinsternis letztmals ringförmig zu sehen. Die Breite der zentralen Zone war inzwischen wieder auf 58km angewachsen, die ringförmige Phase dauerte bei einer Größe von 0.993 41sec und einer Sonnenhöhe von 7° über dem Westhorizont. Etwa 1400km weiter südöstlich endete die Finsternis in der Nähe der sibirischen Stadt Krasnojarsk um 13h06m UT partiell bei Sonnenuntergang bei einer Größe von 0.993. Innerhalb von drei Stunden hatte der Mondschatten drei Kontinente überquert und dabei eine Strecke von über 13000km zurückgelegt. Detaillierte Daten zu der Finsternis finden sich im Anhang dieses Berichtes.

Man sollte nun annehmen, dass die astronomische Literatur diese Finsternis gebührend würdigt, zumal Deutschland seinerzeit gleichsam einen Logenplatz innehatte – ähnlich wie bei der Sonnenfinsternis des Jahres 1999.
Leider sah ich mich getäuscht. In meiner gewiss nicht spärlich bestückten Bibliothek fand ich nur wenig Hinweise. Nur das HIMMELSJAHR 1990 und das für das Jahr 1961 erwähnen dieses Ereignis. Selbst Publikationen, die die Sonnenfinsternis vom 11.August 1999 behandeln und auch Rück – und Ausblicke auf vergangene und zu erwartende Finsternisse in Deutschland bringen, fehlen jegliche Hinweise. Eine grobe Unterlassungssünde, wie die folgenden Ausführungen bestätigen werden.

Insgesamt wurden nur wenige größere Städte in Deutschland zentral vom Mondschatten erfasst – was nicht weiter verwundert, wenn man bedenkt, dass die zentrale Zone nur wenige Kilometer breit war. Die einzigen befanden sich in der Region, um die es im folgenden gehen soll. Abb.3 zeigt den rheinisch – westfälischen Raum mit dem schmalen Pfad der ringförmigen Phase. Dieser hatte einen Durchmesser von 5km. Die Städte Krefeld, Duisburg und Oberhausen lagen innerhalb dessen. Die maximale Finsternis wurde hier gegen 12h20m UT bei einer Sonnenhöhe von knapp 50° erreicht. Die ringförmige Phase dauerte hier nur etwa 5sec (Größe der Finsternis 0.999). Der Durchmesser der Sonne betrug 31`51″, der des Mondes 31`50″! Das ist ein Unterschied von lediglich einer Sekunde, was auf der Zentrallinie einer ´Ringdicke` von einer halben Sekunde entspricht. Das ist ein Winkel, den erst ein größeres Fernrohr sichtbar machen kann. Aber aufgrund ihres Lichts sehen wir auch die noch kleineren, praktisch punktförmigen Fixsterne. Mit anderen Worten: Es muss damals ein haarfeiner Ring zu sehen gewesen sein – aber hatte er ausgereicht, die Chromospähre und die innere Korona zu überstrahlen? Wenn man zusätzlich noch die Randverdunklung unseres Tagesgestirns und das zackige Mondrandprofil ins Kalkül zieht, fragt man sich zu Recht, ob es nicht vielleicht doch zumindest zu einem Perlschnureffekt gereicht hat, was dann einen absoluten Grenzfall zwischen einer ringförmigen und einer totalen Finsternis dargestellt hätte (1). Hier läßt sich natürlich trefflich spekulieren, was den Anblick dieser Sonnenfinsternis betrifft. Aber das kann, darf und will ich an dieser Stelle nicht tun. Ich weiß wohl, dass Chromosphäre sowie innere Korona bei ringförmigen Finsternissen schon gesehen wurden, kann aber keine Beispiele nennen. Hinzu kommt noch, dass es vielleicht mehr oder weniger Auffassungssache ist, ob die Perlschnur bereits der Totalität zuzurechnen ist (2). Und sich nach Augenzeugen umzusehen, dürfte selbst bei in den letzten Jahrzehnten sprunghaft gestiegenen Lebenserwartung der Menschen ein nahezu hoffnungsloses Unterfangen darstellen (3).

So musste ich einen anderen Weg beschreiten.

sonnenfinsternis

Vielleicht hatte ja die Tagespresse damals über die Finsternis berichtet. So ermunterte mich mein Bruder, doch einmal im Archiv meiner Heimatstadt Bochum herumzustöbern. Große Hoffnung machte ich mir allerdings nicht, doch das Schicksal war mir gnädig gesonnen – führte es mich doch auf dem Weg zum Archiv zunächst in ein Antiquariat, wo ich zufällig auf ein Buch von Felix Erber aus dem Jahre 1912 stieß.Dieses Buch behandelte die Finsternis vom 17.April etwas ausführlicher und brachte auch einige Fotos (Abb.4). Auch im Archiv wurde ich fündig: Es existierten tatsächlich Zeitungen aus der fraglichen Zeit. So berichtete die Zeitung MÄRKISCHER SPRECHER am 16., 17. und 18. April 1912 über diese Finsternis, wenn auch der Medienrummel nicht ganz so extrem ausgefallen sein dürfte wie bei der Finsternis des Jahres 1999. Zumal in diesen Tagen ein anderes Thema die Schlagzeilen beherrschte – nämlich der hinlänglich bekannte Untergang des Passagierschiffs TITANIC am 15.April – für den die Anhänger der Esoterik garantiert die Sonnenfinsternis verantwortlich gemacht hätten, hätte sie vor dem Untergang des Schiffes stattgefunden.

So fanden sich in dieser Zeitung allgemeine Informationen zur Finsternis, aber auch einige Abbildungen, die z. B. auch den Verlauf der Zentrallinie zeigten. Nur waren die aufgrund des hohen Alters der Zeitung so unansehnlich geworden, dass sie sich für fotografische Reproduktionen nicht mehr eigneten, weil auf ihnen kaum noch etwas zu erkennen war. Immerhin kann ich hier in Auszügen den Bericht eines Augenzeugen präsentieren, der in der Ausgabe vom 18.April erschien. Dieser Mann, bei dem es sich wahrscheinlich um ein Redaktionsmitglied der Zeitung handelte, beobachtete im Bochumer Stadtpark. Zuvor muss allerdings gesagt werden, dass sich Bochum etwa 13km südlich der Zentrallinie befand und die Finsternis deshalb `nur´ partiell war, wenngleich auch mit einer Größe von 0.996:

…Die leuchtende Sonnenscheibe aber ward kleiner und kleiner, bald war´s nur noch wie eine feine Mondsichel, die mehr und mehr an Fläche abnahm, je weiter der Uhrzeiger gegen 1 Uhr vorrückte, da dann die Hauptphase der Verfinsterung eintreten sollte. Noch hatte die Sichel die gewaltige brennende Leuchtkraft des Sonnengestirns, dann aber, als um Viertel nach 1 Uhr nur noch ein schwächlicher Streif von der gelblichen Scheibe links oben übrig geblieben war, anzuschauen wie ein gebrochen Ringlein, da legte sich geisterhafte Dämmerung über Stadt und Land, Windesrauschen hub an und finster ward´s rings umher. Die bängliche, geheimnisvolle Stimmung hielt nicht lange an, schon nach drei, vier Minuten ward es wieder heller, wieder wärmer. Der flache Streif am indigo – dunklen Himmel war an der schwarzen Scheibe nach unten gerutscht, und eine helle Sichel erschien mit wachsender Leuchtkraft. Sie stieg empor, sieghaft und strahlend. Wohlige Wärme sandte der Himmel wieder hernieder, seine Bläue wurde leuchtender, glänzender das Licht der weiter und weiter sich zum Kreisrund dehnenden Sonnenscheibe…

Eine höchst eindrucksvolle Darstellung, in der einige Erscheinungen, die für Sonnenfinsternisse großer Phase charakteristisch sind, Erwähnung finden. Nun kann man sich einigermaßen gut vorstellen, wie sich die Finsternis auf der Zentrallinie manifestiert haben mag, so dass wohl doch mit gewisser Berechtigung von dem weiter vorn erwähnten Grenzfall gesprochen werden darf: Der Bochumer Beobachter erwähnte immerhin einen gewissen Brillantringeffekt, und auch der Finsterniswind entging ihm nicht. Und dass bei einer Finsternis dieser Größe eine merkbare Verdunklung der Umgebung stattfinden muss, bedarf keiner weiteren Diskussion.
So kann, wie ich glaube, bei diesem Ereignis von der zweiten großen Finsternis der Sonne im 20.Jahrhundert für Deutschland gesprochen werden – wobei ich allerdings den Wert der Finsternis vom 11.August 1999 auf keinen Fall schmälern will. Eines jedoch hatte die Finsternis von 1912 der von 1999 voraus: Das Wetter war seinerzeit wesentlich besser.
Für das Ruhrgebiet und den gesamten westfälischen Raum heißt es bis zur nächsten dort sichtbaren totalen Sonnenfinsternis lange warten: Erst am 25.Mai 2142 wird sich die Sonne kurz vor 11Uhr in Essen, Bochum und Dortmund für gut zweieinhalb Minuten total verfinstern.

Anmerkungen

Die ringförmige Sonnenfinsternis vom 20.Mai 1966, übrigens im Saroszyklus ein direkter Nachfolger der Finsternis von 1912, wurde verschiedentlich als `Perlschnurfinsternis´ bezeichnet, da die Größenverhältnisse von Sonne und Mond ähnlich waren wie 1912.

Auf Fotos und Videoaufnahmen ist die Korona während des Brillantringes bereits eindeutig zu sehen – diese Erfahrung machte ich bei der totalen Sonnenfinsternis vom 26.Februar 1998 in Venezuela. Ob dies auch für das bloße Auge zutrifft, vermag ich nicht zu sagen – zumal die Brillantringeffekte bei der Finsternis vom 11.August 1999 durch Wolkenfilterung kaum in Erscheinung traten – und 1998 war ich während der Brillantringe durch meine Videokamera abgelenkt.

Als ich auf einer Tagung über diese Sonnenfinsternis referierte, sprach mich ein Zuhörer an, dessen Großmutter die Finsternis damals gesehen hatte und sie als eindeutig total einstufte.

Auch Temperaturmessungen wurden damals durchgeführt: Bei größter Finsternis war es im Schatten 1.5°C kühler als bei unverfinsterter Sonne. Die Differenz betrug bei Messung in der Sonne 9°C(20°C um 11h50m, 11°C um 1h18m – Zeitangaben laut Pressebericht).

Literatur

  • Keller, Hans – Ulrich; Das Himmelsjahr 1990, Stuttgart 1989, S.112.
  • Gerstenberger, Max; Das Himmelsjahr 1961, Stuttgart 1960, S.29f.
  • Erber, Felix; Illustrierte Himmelskunde, Berlin 1912, S.43.